von Anne und Norman
Seit vielen Jahren richtet der Jugendschachbund Sachsen die für internationale Spieler offene deutsche U8-Meisterschaft in Sebnitz aus. Es handelt sich dabei zwar nicht um eine offizielle Einzelmeisterschaft der DSJ. Das Turnier steht aber stellvertretend dafür. Denn die Einzelmeisterschaften der DSJ beginnen erst ab U10.
Für Aufbau war Paula Czäczine am Start und Wunsch (oder Plan?) war der Mädchentitel. Erfahrungen bei der EM U8w und der DEM U10w sowie die höchste Wertzahl aller 16 Teilnehmerinnen sprachen dafür. Dass in einem Kinderturnier mit 56 Teilnehmern (Jungs und Mädchen spielten in einer Gruppe) alles passieren kann, befeuerte hingegen die Ungewissheit. Zumal Lorena Peglau in Anwesenheit von „Familientrainer“ GM Henrik Teske nicht zu unterschätzen war.
Paula spielte Runde 1 gemäß ihrer Wertzahl an Brett 10. Einmal mehr ein Fingerzeig auf die schon in frühester Zeit festzustellenden Spielstärkeunterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Und so leistete ihr Gegner auch starken Widerstand. Paula stand zwar immer gut und spielte recht souverän. Als sie im Turmendspiel mit Mehrbauer aber die richtige Fortsetzung ausließ, war es plötzlich remis. Da half auch nicht, dass Paula genau wusste, dass ihr König kein Schlüsselfeld erreicht. Der Gegner wusste das nämlich auch.
Kein optimaler Start. Dafür gab’s in den Runden 2 bis 4 schwächere Gegner (darunter zwei Konkurrentinnen). Paula gewann relativ sicher, stand jedenfalls in keiner Partie schlechter, was in der U8 schon viel heißt.
In Runde 5 ging es an Brett 2 gegen den topgesetzten Polen Gabriel Karaszewski. Elo 1494 mit 8 Jahren… Wir hofften auf eine spannende Partie im offenen Spanier. Doch Paula bekam überhaupt keinen Zugang zur Partie: Bereits bei Zug 6 ein wichtiges Eröffnungsmotiv nicht verstanden. Und bei Zug 8 die am Brett extrem schwer zu findende einzig spielbare Variante naturgemäß nicht gespielt. Aus. Der Gegner ließ keine Luft mehr ran. Eine Demonstration bzw. Demontage.
Aber Runde 5 war keine Mädchenrunde. Alle Verfolgerinnen blieben bei 3 Punkten stehen. In den Runden 6 und 7 bekam Paula wieder schwächere Gegner, die sie besiegen konnte. Nicht ganz geradlinig, aber okay. Bei der Auslosung wirkte es günstig, dass Paula sich in der „oberen Hälfte“ befand und dadurch ratingschwache Gegner erhielt. Doch der größte Clou war, dass in Runde 7 alle fünf Verfolgerinnen verloren. Paula hatte 1,5 Punkte Vorsprung herausgespielt.
In Runde 8, mit 5,5 Punkten, ging es dann gegen die Nr. 3 der Setzliste. Paula mit Weiß gegen Französisch. Die Eröffnung war eher günstig für Schwarz. Doch plötzlich konnte Paula einen Bauern schnappen. Der Gegner tauschte seinen schwarzfeldrigen Läufer gegen einen Springer und wurde völlig eingeschnürt, musste gar die Dame gegen den zweiten Springer geben. Paula hatte Dame und drei Bauern gegen Leichtfigur, stand aber nun selbst merkwürdig. Und schwupp war ihre Dame gefangen. Nur noch Turm und drei Bauern gegen Leichtfigur. Zeitnot. Die Stunde Bedenkzeit war fast verflogen. Läufer eingestellt. Panik. Noch ein Bauer weg. Nach Zug 40 gab es 15 Minuten dazu. Und Paula fing sich, gewann eine Figur gegen einen starken Freibauern zurück und wickelte in ein Bauernendspiel mit Minusbauer ab – das sie ausgerechnet hatte. Aktiver König und entfernter Freibauer sicherten den Sieg.
Paula war durch, stand als vorzeitige Siegerin fest. Riesenjubel im Zimmer. Aber was ging noch für die Gesamtwertung? Es ging alles!
Letzte Runde an Brett 1. Ein Sieg würde mindestens Platz 2 der Gesamtwertung bedeuten – im Nachhinein wäre es sogar Platz 1 gewesen. Paula mit Weiß gegen Arthur Herrmann, SV Chemie Böhlen, also auch aus Sachsen. Traumkonstellation. Wieder Französisch. Und Paula machte Druck. Der Gegner verteidigte sich mit Zügen wie Sc6-d8 und Ld7-e8. Ein schwarzer Springer war auf h5 gestrandet. Der Bauer h7 fürchtete den nahen Tod. An einer Stelle konnte Paula den Bauern e6 gewinnen. Aber sie fand es nicht. Ihr Springer g5 wurde zurückgeworfen. Und der Gegner sah eine feine Fesselungstaktik. Lange Schlagvarianten, von beiden korrekt berechnet. Doch am Ende triumphierte ein schwarzer Zentrumsfreibauer über den entwicklungsvergessenen Springer b1. Eine tolle Partie, ein verdienter Sieg für Arthur Herrmann und ein sächsischer Doppelsieg im Turnier.
Die Siegerehrung war der Wahnsinn. Eine lange Tafel voller schöner (und großer) Preise. Vom Skateboard über Playmobilkästen und Gesellschaftsspiele bis zum Glitzerschminkset und Riesenkuscheltieren. Dazu 56 Pokale. Und die größten davon maßen über 50 cm. Richtig dicke Henkelpokale. Paula wurde als erste aufgerufen und musste sich ein letztes Mal beweisen: Pokalhalten bis die drei besten Mädchen und Jungen vorne standen und alle Fotos geschossen waren. Zum Glück konnte der rechte Oberschenkel helfen. Es dürfte selten eine Siegerehrung gegeben haben, bei der die Kinder so zielgerichtet und freudestrahlend zu ihrem Lieblingspreis stürmten. Es gab kein Abwägen und Überlegen wie sonst üblich. Wirklich toll, dass selbst der Letztplatzierte noch einen kleinen Pokal bekam und die Wahl zwischen mehreren schönen Preisen hatte.
Und sonst?
Es war wieder ein schönes Umfeld. Die Mädchen spielten zusammen Mensch auf Erden und besetzten einen eigenen Tisch beim Essen (das gut war). Es wurden Gute-Nacht-Geschichten und eine Schatzsuche geboten. Das Wetter war prima. Eigentlich passte alles. Nur dass mit Clara Mehner die zweite Chemnitzerin in der letzten Runde die Dame einstellte und dadurch Platz 3 verpasste, war schade. Drücken wir allen Teilnehmern die Daumen, dass sie das Turnier in schöner Erinnerung behalten und sich dadurch dem Schach noch ein wenig mehr verbunden fühlen. Und an dieser Stelle ganz vielen Dank den Organisatoren.
Informationen, Berichte und Ergebnisse im Internet findet Ihr unter
https://www.jugendschachbund-sachsen.de/iem-u8.html