2. Frauenbundesliga – Fantastisches Finale

von Norman

Einfach ein Traum! So endete der Bericht zu Runde 5 (von 7). Und es ging tatsächlich so weiter. Ihr werdet es alle mitbekommen haben. Oder ihr habt zu tief geschlafen. Unsere Heldinnen sind tatsächlich aufgestiegen. In die 1. Frauenbundesliga! Beide Schlussrunden wurden deutlich gewonnen. Eine absolute Wahnsinnsleistung. Maximale Gratulation! Ich hätte das im Traum nicht für möglich gehalten. Aber es war nicht nur möglich, sondern auch durchaus gerechtfertigt.

So sieht eine Mannschaft aus, die gerade die 2. Frauenbundesliga gewonnen hat: von links nach rechts, stehend Paula, Anne, Becky und Kathrin, sitzend Marie und Laura. Der Größenunterschied zwischen Anne und Paula (Brett 1 und 2) ist schon fast nicht mehr zu erkennen. Es fehlen Romy, Susi und Arlene.

Die Schlusstabelle gibt’s unter https://ergebnisdienst.schachbund.de/bedh.php?liga=fb21. Wenn ihr dort auf unser Team klickt, könnt ihr alle Einzelergebnisse sehen.

Auch beim DSB gab es eine Meldung: https://www.schachbund.de/bericht-frauen/freiburg-kreuzberg-und-chemnitz-die-neuen-teams-in-der-frauenbundesliga-eigemtlich-wollten-wir-nur-nicht-absteigen.html.

Das LigaOrakel

Unter dem Link https://www.schachklub-bad-homburg.de/LigaOrakel/LigaOrakel.php?staffel=DSB_FBL2O&statformat=V gibt es folgende Grafik zu sehen:

Unserem Verein wurde weder das strahlende Rot, noch das Neongrün zugewiesen. Diese Farben zierten die Favoriten. Ein schönes Hellblau stand auch nicht zur Auswahl. Dafür aber das unscheinbare Mausgrau. Für den unbedeutenden Tabellenkeller, den wahrscheinlichsten Absteiger.

Naja, immerhin starteten wir mit einer Platzierungserwartung von 6,4 – millimeterdünn über dem rosa gefärbten Abstiegsbereich (Platz 6,5 bis 8,5 ). Ihr merkt schon: Erwartungswerte sind nicht alles. Zumal Platz 6,4 auch echt schwer zu erreichen gewesen wäre.

Andererseits bekam keine Mannschaft so eine schlechte Prognose wie die Mausgrauen. Doch siehe da, nach jedem Spielwochenende ging es mehr und mehr nach oben. Aber selbst mit der Tabellenführung nach Runde 5 (ein Mannschaftspunkt und 3 Brettpunkte Vorsprung), sah die Statistik uns nur gleichauf mit Erfurt. Mehr noch, die rote Dominanz verschluckte das zarte Mausgrau regelrecht. Und um ehrlich zu sein: Ich sah uns ja auch nicht vorn.

Doch dann wurde Schach gespielt. 4½ zu 1½ gegen Leipzig-Lindenau am Samstag. Und 4-2 gegen die SG Leipzig am Sonntag. Bäähm! Da nütze es Erfurt nicht, dass sie mit den gleichen Resultaten gewannen. Unser Vorsprung blieb in Stein gemeißelt. Ich wiederhole mich: Eine fantastische Leistung! Gegen eigentlich favorisierte Teams, die am Ende auf Platz 3 und 4 einkamen.

Heldinnen

Sonntag, 16.03.2025. Willst du wissen wie es steht? Ich sah auf das Display eines Zielke-Smartphones. 2 zu 2. Davon ein kampfloser Punkt für uns an Brett 6. Warum hatte Anne remis gegeben? Der Anfangsvorsprung war dahin. Einmal erst schenkte Anne einen halben Zähler ab. Und damals in dem Wissen, dass der für den Mannschaftssieg reichen würde. Hoffnung. Vielleicht war es jetzt genau so? Andererseits… vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich nicht. Anne ist auch nur ein Mensch.

Erfurt hatte gewonnen. Wir brauchten ein 3 zu 3. Unsere beiden laufenden Partien wurden nach wie vor hellgrün angezeigt. Noch nicht beendet. Ausgerechnet Paula und Laura spielten noch. Paula gegen eine WFM mit ELO 2080. Laura gegen die Sachsenmeisterin u16 w von 2021, ELO 1874. Familiengefühle. Ich konnte nicht mehr hinsehen. Das Smartphone wurde mit einem Partieformular zugedeckt.

Eine kleine Ewigkeit quälte ich Anja mit meiner Schöpfung König gegen König. So eine Oppositionssache. Schwierig, besonders für Nichtschachspieler. Mir fiel ein, dass vielleicht inzwischen etwas passiert sein könnte. Smartphone an. Das Hellgrün war weg. Ich konnte nicht hinsehen. Aber Aufbau stand oben. Auf Platz 1. Laura und Paula hatten beide gewonnen!!

Wie ich später erfuhr, war Paulas Partie eine Galavorstellung, während Laura nach Bauerneinsteller mit großer Kampfkraft und taktischer Finesse und ja, auch Genauigkeit in komplexer Lage, erst ein gutes Endspiel erreichte und dieses dann mit einer Mattwendung abschloss, zum 3 zu 2 Aufstiegsresultat.

Anne hatte tatsächlich mit Qualität und Bauer weniger die Zugwiederholung der Gegnerin akzeptiert. Zwar nicht ohne zu wissen, dass Paula wahrscheinlich gewinnt. Andererseits war in dieser Katastrophenpartie definitiv nicht mehr drin als ein geschenkter halber Punkt.

Kathrin (Brett 3) hatte ihr 9-zügiges Remis noch schneller vereinbart, als Maries kampfloser Punkt amtlich geworden war. Becky (Brett 4) war heute leider chancenlos. Aber das war an diesem Sonntag egal.

Am Samstag hatten Anne, Paula, Laura (längste Partie) und Marie gewonnen. Becky hatte einen halben Zähler beigesteuert und Kathrin irgendwo in guter Stellung die Kontrolle verloren.

Die Mannschaft

Lasst uns, weil es so schön ist, nochmal all unsere Spielerinnen durchgehen und jede gebührend feiern.

Gemeinsames Eisessen im März

Brett 1 konnten wir mit Anne besetzen. Ein unglaubliches Plus. Die stärkste Spielerin der Staffel, WIM, eine absolute Bank. Ihre Ausstrahlung gibt Zuversicht und Sicherheit. 5 Punkte aus 6 Partien (ohne Niederlage) und ein kampfloser Sieg ließen niemals nie Zweifel aufkommen. DWZ-Performance 2166. Wie selbstverständlich.

Dabei ist Anne ein Phänomen. Sie hat in den letzten 3 Jahren einen richtigen Leistungssprung hingelegt. Zurück zu jungen Tagen. Ihr Spiel ist ehrgeizig, konkret, dynamisch. Eine ganz starke Rechnerin in schwierigen Stellungen. Vor allem aber versteht es Anne zu kämpfen. In den Runden 2, 3, 6 und 7 stand sie auf Verlust. Teilweise auch total auf Verlust. Aber das heißt noch nicht, dass die Gegnerin auch gewinnen wird. Ja noch nicht mal, dass die Gegnerin remis machen kann. Abgelehnt! Und so lange weitergeknetet, bis doch wieder die Meisterin die Oberhand behält. Zumindest in zwei der vier „Verlustpartien“.

Hinter Anne durfte schon Paula ran. Das Talent an Brett 2. In der ersten Doppelrunde noch 13 Jahre alt, danach frische 14. Einerseits ist es schön, direkt hinter einem Schutzschild zu sitzen. Andererseits bekam Paula die nominell stärksten Gegnerinnen. Im Schnitt war Brett 2 fast 40 DWZ-Punkte stärker besetzt als das Spitzenbrett. Okay, außer einer schwachen Leistung in Runde 2 zelebrierte Paula eine Glanzpartie nach der nächsten. Nicht so taktisch ehrgeizig wie Anne an Brett 1 aber dafür mit einem unglaublichen Stellungsverständnis. Und immer wurde alles ausgespielt. Das führte nicht nur zu sagenhaften 5½ aus 6 und einem kampflosen Sieg, sondern produzierte auch eine DWZ-Performance von 2337. Mama, wer ist hier die WIM?

Kathrin an Brett 3 war unsere stille Kraft. Zeitlich ausgelastet und doch da, wenn sie gebraucht wird. Sie spielte 6 Runden. Kathrin gelang ausgerechnet gegen ihre stärkste Gegnerin, eine Spielerin mit DWZ über 2000, ein toller und wichtiger Sieg. Im Gegenzug zeugten drei Niederlagen von mangelnder Praxis. Willkommen in der Elternrealität mit drei Söhnen. Am Finalwochenende lernte sie mit Peter noch vor den Runden für die Schule, am Sonntag um 6 Uhr. Der Kopf schmerzte. Aber Kathrin war da. Kathrin spielte. Wenn auch am Sonntag nur ein schnelles Remis. Doch nicht ohne pflichtbewusst vorher die Mannschaftsleiterin zu fragen.

Kathrin erarbeitete sich viele gute Stellungen. Dann kam es wie so oft bei mangelnder Praxis: Irgendwann ein Fehler. Zu lange angespannt, zu lange unter Druck. Das Können, das Verständnis ist da. Wenn jetzt noch die „tägliche Übung“ wieder aufleben könnte… Vielleicht mal wieder in einem Open mitspielen!? Inspirationen dazu sind auf dieser Seite zu finden.

In vier Runden kam Becky zum Einsatz. Ihr gelangen drei Remispartien gegen stärker eingeschätzte Gegnerinnen. Unsere Studentin der Chemie hätte vielleicht etwas aggressiver spielen können. Vielleicht war manchmal der taktische Blick zu verhalten. Doch Beckys Partie aus Runde 4 werde ich nicht so schnell vergessen. Ein Widerstand ohne Ende. Ein Widerstand bis zur Verzweiflung… der Gegnerin. Wahrscheinlich fehlt auch Becky die Zeit, mehr fürs Schach zu machen. Das Chemiestudium geht vor. Andererseits: ein Open, ein Erfolgserlebnis gegen einen starken Gegner und es könnte noch richtig nach oben gehen.

Hervorragende 70% aus fünf Partien erzielte Romy (Brett 4 und 5). 1½ Punkte über dem Erwartungswert. Hatte der sanfte Drache erst einmal Feuer gefangen, ging die gegnerische Stellung in Flammen auf. Romy ist eine sehr starke Angriffsspielerin. Ich glaube es hilft aber, wenn man ihr klar macht, dass sie wirklich ein Drache ist. Ja Romy, du bist extrem gefährlich.

Fantastisch war Romys Sieg in Runde 1, gegen die Aufstiegskonkurrenten aus Erfurt, gegen eine WFM, Elo 2064. Was für Stellungsbilder. Was für ein Abenteuer. Und final das Mattsetzen mit Läufer und Springer. Hey Schachfreunde, geht einfach nochmal auf den Partielink im Bericht zum Saisonbeginn (2. Frauenbundesliga – Guter Start!) und genießt diese 84 Züge.

Susi kam in den ersten beiden Runden zum Einsatz und holte zwei halbe Punkte, wobei einer äußerst glücklich war. Ich hatte erst überlegt, Susi den Beinamen Sicherheitsspielerin zu geben, doch passender ist gewiss gute Seele. Niemand versorgte die Mannschaft so schön mit Speis und Trank wie Susi, dekorierte das Obst, war vor Ort und drückte die Daumen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn die Gegnerinnen zu sechst anreisen und wir trotzdem in Überzahl sind. Andere zeigten großes Schach, Susi ein großes Herz fürs Schach und für die Frauenmannschaft.

Susi und Familie Brand – die besten Fans der Welt

Laura kam in den letzten vier Runden zum Einsatz. Sie dürfte schachlich das ziemliche Gegenteil zu Susi sein. Das Chessbase-Spielerprofil weist Laura einen Risikowert von deutlich über 300% zu (normal ist irgendwas zwischen 0% und 100%). Sie sei absolut furchtlos. Falsch! Also nicht der Risikowert. Aber Laura ist überhaupt nicht furchtlos. Sie hat während ihrer Partien Sorgen und Ängste wie jeder normale Schachspieler. Aber sie ist mutig und sie traut sich Risiken einzugehen. Sie will aktiv spielen, will Druck aufbauen, will gewinnen. Kurzum: Laura versucht Schach zu spielen. Und das kann dann eben auch mal zu 4 aus 4 führen. 100% gegen einen DWZ-Schnitt von etwas über 1750. Absolut herausragend!

Lauras Partien verlaufen fast immer abwechslungsreich. In zwei Partien gingen Bauern verloren. In einer stand sie kurz vor dem Matt. Aber die Partien verlaufen auch immer kompliziert. Und Laura schafft es immer wieder, sich in solch komplizierten Stellungen besser zu Recht zu finden als die Gegnerinnen. Ein bisschen was von Anne. Zu Laura passt vieles: Angreiferin, Kämpferin, Künstlerin, Chaotin, Mannschaftsspielerin… Laura, für mich bist du eine echte Abenteurerin.

In der ersten und in der letzten Doppelrunde kam unsere Gastspielerin Marie zum Einsatz. Zu Beginn noch etwas zaghaft, konnte Marie in Runde 6 ihren ersten Sieg erkämpfen. Ja, Marie ist ohne Zweifel eine Kämpferin. 1½ aus 3 und ein kampfloser (Wortspiel?!) Punkt sind ein sehr starker Einstand. Es zeichnet Marie aus, dass sie nie nachlässt, nicht bei Zug 50, nicht bei Zug 70 und wahrscheinlich nicht mal bei Zug 570.

Wenn Marie weiter versucht mutig und risikobereit zu agieren, wird sie nicht nur wertvolle Erfahrungen sammeln, sondern bestimmt auch den ein oder anderen Coup landen. Wie auch immer, es ist toll, dass ab der DVM Maries DWZ um 144 Punkte angewachsen ist. Ende offen…

Last but not least spielte unsere zweite Gastspielerin Arlene in den Runden 3 bis 5 mit und steuerte zwei Remispartien bei. Für ihr Zeitnotproblem fand sie eine pragmatische Lösung, die rechtzeitige Remisvereinbarung. Meiner Ansicht nach wäre folgende Strategie besser: Wenn schon Zeitnotspielerin, dann richtig. Sozusagen Zeitnotspezialistin. À la Alexander Grischuk. Denn wer gelernt hat, mit Zeitdruck umzugehen, wird feststellen, dass solche Phasen auch den Gegner in Mitleidenschaft ziehen. Aber egal welche Strategie Arlene in Zukunft wählt, Partien ausspielen kann einen nie schwächer machen.

Epilog

Unser CSC Aufbau schreibt ein neues Vereinskapitel. 1. Frauenbundesliga. So schnell kann also ein Kapitel Deutscher Vereinsmeister u16 w beendet sein. Oder sagen wir besser bereichert werden.

Besonders toll fand ich, dass wir in jedem Kampf nur eine Gastspielerin eingesetzt haben, immer an Brett 6. Es ist wirklich zu 100% der CSC Aufbau aufgestiegen. Ich verstehe, die Thematik Gastspielerinnen im Schach. Stichwort 9%. Es fühlt sich trotzdem komisch an, wenn eine Mannschaft zur Hälfte aus Gastspielerinnen besteht, was auf vier gegnerischen Teams zutraf. Eine weitere Mannschaft trat gegen uns sogar mit vier Gastspielerinnen an. Und einmal blieben zwei Bretter einfach frei. Nur die SG Leipzig bildete eine positive Ausnahme.

In der 1. Frauenbundesliga werden auch wir nicht ohne weitere Gastspieler auskommen. Hier weht ein anderer Wind. Oder besser Orkan. Die OSG Baden-Baden hat an Brett 11 (!) noch eine Spielerin mit 2450 Elo und DWZ aufgestellt. Bad Königshofen setzt auch kaum jemanden unter 2300 ein. Gleiches gilt für Schwäbisch Hall. Aber es gibt natürlich auch schwächere Teams. Beim Tabellenletzten spielt am letzten Brett zumeist „nur“ eine 2100. Einzig das Schachzentrum Seeblick, mit Familie Peglau, hält sich beim Elo-Wucher zurück. Und steht momentan auf dem ersten Nichtabstiegsplatz. Meine Daumen sind gedrückt…

Unsere Mannschaft wird sich voraussichtlich im Schnitt etwa bei 2000 bewegen. Kommt darauf an, wie viele Punkte Paula bis dahin noch gewinnt. Unsere Platzierungserwartung wird wahrscheinlich um die 11,6 liegen. Und ja, es wird darum gehen, jeden Brettpunkt zu feiern. Am besten wäre doch mal ein Sieg gegen eine richtig starke Spielerin. Oder wie fragte Cliff Wichmann Anne vor kurzem: „Geht da noch was Richtung WGM-Titel?“

Träume sind erlaubt. Realismus ist geboten. Und ich möchte diesen Bericht ganz ähnlich beenden, wie den vorangegangenen zur Runde 5 (vielleicht bringt’s Glück). Genießen wir das Hier und Jetzt. Siege (also ich meine Brettpunkte) in der 1. Frauenbundesliga gibt es ganz sicher nicht geschenkt. Und zu hohe Erwartungen/Hoffnungen würden da gewiss auch nicht helfen. Wie auch immer unsere Heldinnen letztlich abschneiden: Die kommende Saison ist jetzt schon ein Sensation. Absolut Fantastisch!